Über unsere Zukunft

Einer der ältesten Träume der Menschheitsgeschichte besteht darin, Zukunft vorhersagen zu können. Richtig ist, dass unsere Vorstellung von der Zukunft oft kolossalen Irrtümern unterliegt.

Warum wollen wir Menschen eigentlich etwas über unsere Zukunft erfahren? Warum begeben sich viele hierzu in die Hände von Wahrsagern, Schamanen, Sehern, lassen sich Horoskope erstellen, aus der Hand lesen oder aus dem Kaffeesatz?

Unabhängig davon, ob man daran glaubt, ob die Vorhersagen dieser Dienstleister zuverlässig sind oder nicht, ist es doch offenbar die Suche nach Orientierung und Entscheidungshilfen, die den Mensch antreibt, etwas über seine eigene oder die Zukunft anderer erfahren zu wollen.
Unternehmen nutzen keine Hellseher, sondern Zukunftsforscher, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden in die Zukunft schauen. Können Zukunftsforscher die Zukunft vorhersagen? Natürlich nicht. Sie beanspruchen dies i.d.R. auch nicht, sondern entwickeln unterschiedliche Zukunftsszenarien und versehen diese mit Eintrittswahrscheinlichkeiten. Warum geben wir dafür viel Geld aus? Um möglichst gut auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Wenn wir die möglichen bzw. die wahrscheinlichen Szenarien im Geiste schon vorweggenommen haben und uns bereits vor ihrem Eintritt überlegt haben, wie wir handeln werden, kommt es nicht zu überstürzten Reaktionen. Und wir sind in der Gegenwart beruhigt, denn wir haben ja bereits die Entscheidungen getroffen, die uns auf die möglichen Szenarien vorbereiten.

Der Haken bei der Sache ist nur, dass die großen, die elementaren Veränderungen der Zukunft von niemandem vorher gesehen werden, da die Zukunftsforschung i.d.R. auf einer Fortschreibung der Vergangenheit beruht. Nassim Taleb beschreibt in seinem Buch „Der schwarze Schwan“ das Phänomen des Eintritts von Ereignissen, mit denen niemand gerechnet hat, bzw. die extrem unwahrscheinlich waren, bevor sie eingetreten sind. Auf diese „schwarzen Schwäne“ können wir uns nicht vorbereiten. Es gibt sie aber nun einmal und sie lassen unsere bisherigen Vorstellungen von der Zukunft manchmal in rasender Geschwindigkeit obsolet werden.

Ich sehe das positiv. Denn wenn wir uns in einer vermeintlichen Sicherheit wiegen würden, auf die Zukunft richtig vorbereitet zu sein, würden wir diese wahrscheinlich eher geschehen lassen, als sie selbst aktiv zu gestalten. In Wirklichkeit gibt es diese Sicherheit nicht und es hat sie auch nie gegeben. Kein Stück. Sie ist eine Illusion. Die Zukunft kommt IMMER anders als jedes vorweggenommene Szenario. Ist es deshalb dumm, sich über die möglichen Szenarien Gedanken zu machen? Nein, im Gegenteil, denn dadurch können wir heute überlegt entscheiden, wie wir die von uns beeinflussbaren Teile der Welt in Zukunft gestalten möchten. Unsere Familien, unsere Unternehmen, unsere Gesellschaft, unsere Umwelt.

Wie sinnvoll es ist, sich mit Utopien zu beschäftigen? Aus meiner Sicht ebenfalls äußerst sinnvoll. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Utopien aus Science Fiction Filmen später Realität geworden sind. Der Kommunikator von Käpt’n Kirk erscheint uns heute in Form des Handys als eine Selbstverständlichkeit. Das fliegende Auto aus „Zurück in die Zukunft“ ist heute ebenfalls bereits Realität. Auch viele Utopien Jules Vernes sind heute Realität.

Fraglich ist, wie wir uns unserer Zukunft zuwenden? Wie möchten wir leben? Offen und aktiv gestaltend oder lieber reaktiv? Wir haben es selbst in der Hand. Unser Handeln heute bestimmt unser Erleben in der Zukunft.

“If you want my future forget my past”, sangen einst die Spice Girls. Keine gute Idee aus meiner Sicht. Denn wenn wir unsere Vergangenheit nicht kennen, daraus lernen und mit ihr im Reinen sind, können wir unsere Zukunft schwieriger aktiv gestalten.

Die großen Fragen der Zukunft sind bereits die großen Fragen der Gegenwart:
Sicherheit versus persönlicher Freiheit, Energieversorgung, Gesellschaftsform, Demographie und Bevölkerungswachstum, Wohlstandsunterschiede, Zusammenleben der Ethnien und Religionen, Gesundheit und Medizin, Nahrungsmittel- und Wasserversorgung, Klima und Umwelt, Digitalisierung, Terrorismus und seine Bekämpfung, Staatsverschuldung und Finanzsysteme.

Die Gewissheit über die Unsicherheit unserer Zukunft sollte keine Ursache für Angst sein. Im Gegenteil, Angst vor der Zukunft ist aus meiner Sicht sinnlos. Denn worin besteht die Alternative zur Zukunft?

Dr. Björn Castan