Meine Erwartungen an die zwanziger Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts

Der Beginn der zwanziger Jahre bildet einen guten Anlass, darüber nachzudenken, wie sich unser Leben in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. Kanzlerin Merkel setzte sich in ihrer Neujahrsansprache für „mehr Mut zu neuem Denken“ ein. Wenn sie diesen Mut nur selbst aufbringen und danach handeln würde. „Neues Denken“ klingt aber erst einmal gut und richtig. Denn das Denken wird eine unserer wesentlichen Stärken bleiben, die wir im globalen Wettbewerb der Systeme dringend brauchen. Die Fähigkeit zu neuem Denken fällt jedoch nicht vom Himmel. Wir werden daher die Fähigkeit zu neuem Denken unseren Kindern bereits in der Schule vermitteln müssen. Davon ist unser aktuelles Schulsystem weit entfernt, es lohnt sich aber darauf hinzuarbeiten. Für uns Erwachsene lautet die gute Nachricht, dass es für niemanden zu spät ist, neues Denken zu lernen. Jedenfalls sofern die Bereitschaft hierfür vorhanden ist.

Neues Denken ist erforderlich, um die Probleme der Welt, die durch altes Denken entstanden sind, lösen zu können. Die Klimaprobleme werden sich nicht mit der etablierten Denkweise einer Fortsetzung der Verbrennung fossiler Energieträger lösen lassen. Nachdem die Dringlichkeit der Folgen des Klimawandels inzwischen von einem ständig wachsenden Teil der Weltbevölkerung verstanden wurde, haben sich viele kluge Köpfe an die Arbeit gemacht, um nach besseren Alternativen zu suchen. Für die Stromerzeugung, die Wärme- und Kälteerzeugung sowie CO2 freie Mobilität. Meine erste Erwartung lautet daher, dass die Decarbonisierung der Weltwirtschaft Tempo aufnehmen wird und sich das fossile Zeitalter seinem Ende annähern wird.

Die dramatischen Probleme, die durch den menschlichen Plastikmüll weltweit verursacht werden, werden zunächst leider noch schlimmer, bevor endlich besser umweltverträglichere Materialen für Verpackungen etabliert werden.

Firmen, die mit ihren Produkten einen positiven Einfluss auf die Umwelt ausüben, werden profitable Geschäftsmodelle entwickeln. Es wird nicht mehr darum gehen, den negativen Umwelteinfluss wirtschaftlichen Handelns zu reduzieren, sondern eine positive Umweltbilanz zu erreichen. Altes Denken fragt danach, wie man z.B. Emissionen von Schadstoffen reduzieren kann. Es bleibt aber bei einer Emission von Schadstoffen. Neues Denken beschäftigt sich mit der Frage, wie Probleme nicht nur ohne Emissionen von Schadstoffen gelöst werden können, sondern man Probleme löst und gleichzeitig z.B. Schadstoffe aus der Luft filtert. Der erarbeitete Wohlstand der Menschheit wird dadurch nicht gefährdet, sondern mit dieser Denkweise wird ein qualitatives Wachstum in Gang gesetzt, das die Lebensqualität auf unserem Planeten erheblich verbessern wird, bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum. Dafür hat sich schon heute der Begriff „New green Deal“ etabliert.

China wird die USA als wirtschaftlich stärkste Macht der Welt schon bald überholen. Das ist zunächst einmal weder gut noch schlecht. Die Deutsche Wirtschaft wird damit nach meiner Meinung nicht nur sehr gut leben können, sondern wird davon profitieren. Chinesische Firmen werden ihre Produkte verstärkt auch in die europäischen Märkte bringen. Auf der politischen Ebene sollte weiter darauf hingearbeitet werden, dass sich der chinesische Markt im Gegenzug auch weiter für ausländische Waren und Dienstleistungen öffnet. Protektionismus schadet nur. Meine Erwartung ist daher, dass sich trotz aktuell anders lautender Bestrebungen aus den Vereinigten Staaten, die Idee eines globalen Freihandels bis zum Ende dieses neuen Jahrzehntes als stärker erweisen wird, als nationaler Protektionismus.

In der Medizin wird die Genschere sowohl in der Lage sein, HIV sowie auch erste Krebsarten zu heilen. Jedenfalls in vielen Ländern außer Deutschland, wo man sich der Gentechnik bisher leider noch verschließt. Ich erwarte, dass man sich auch in Deutschland der notwendigen ethischen Diskussion über Gentechnik intensiver stellen wird, verbunden mit der Hoffnung, dass die Aussicht auf die Rettung von Millionen Menschenleben die ethischen Zweifel an der Gentechnik überwinden wird.

Steven Hawking hat in seinem letzten Buch prognostiziert, dass in der Kernfusion die Lösung der Energieprobleme der Welt liegen wird. In Frankreich und China werden erste Reaktoren für Kernfusionen gebaut. Ich erwarte, dass es in den nächsten zehn Jahren große Fortschritte geben wird, mit Hilfe der Kernfusion eine CO2- und radioaktivitätsarme Energiequelle zu erschließen, die in den dreißiger Jahren massentauglich wird.

So positiv ich auf die Entwicklung technologischer Lösungen für die großen Probleme der Welt blicke, so skeptisch sehe ich der Entwicklung unseres etablierten Finanzsystems entgegen, das auf altem Denken basiert. Da die Zeit nach dem Zusammenbruch von Lehmann nicht dazu genutzt wurde, echte Reformen durchzuführen und sich die globale Verschuldung seit dem mehr als verdoppelt hat, halte ich wesentliche Einbrüche im Finanzsystem für deutlich wahrscheinlicher als Stabilität. Die Deutsche Bank wird staatlich unterstützt werden müssen. Die Anzahl der Bankfilialen wird sich weltweit in den nächsten zehn Jahren mehr als halbieren.

Kryptowährungen werden sich dafür einen festen Platz in der Finanzwelt geschaffen haben. Ob sich eine einzige dominante digitale Währung durchsetzen wird oder ob eine Vielzahl gut nebeneinander existieren können, ist heute offen. Vieles spricht auch hier für Vorteile von Diversität. Man wird aber m.E. auch in zehn Jahren immer noch auf der Suche nach weiteren Blockchain-Killerapplikationen sein und diesen Hype schließlich wegen zu hohen Energieverbrauches wieder zurückfahren.

Das Wettrennen um den ersten Menschen auf dem Mars dürfte sich in dieser Dekade entscheiden. Neue Impulse für die Erweiterung des menschlichen Denkens werden durch diese im wahrsten Sinne des Wortes Horizonterweiterung zu erwarten sein.

Solarbetriebenen, autonomen Drohnen, die Passagiere transportieren, wird mit Hilfe nationaler Luftverkehrsgesetze der Durchbruch gelingen. Sie werden einen wichtigen Beitrag zu Erfüllung der wachsenden Ansprüche an eine CO2-neutrale Mobilität leisten.

Weitere Erwartungen in Kürze:

  • Die Bundesrepublik Deutschland bekommt ihren ersten grünen Bundeskanzler.
  • Ein schweres Erdbeben wird die San Francisco Bay erschüttern.
  • Der Palästina Konflikt bleibt ungelöst.
  • BER wird eröffnet.
  • Der HSV schafft mindestens einmal den Aufstieg und steigt wieder ab.

Und eine Hoffnung möchte ich formulieren: Dass der Mensch nicht nur verantwortlicher mit der Umwelt umgeht, sondern auch das unermessliche Leid, das wir Tieren in der Massentierhaltung zufügen, erheblich reduziert wird und neu entwickelte Fleischalternativen eine größere Akzeptanz gefunden haben werden.

Die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts bildeten mit der Begründung des Bauhaus den Anfang einer neuen Epoche. Für die soeben begonnenen zwanziger Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts erwarte ich einen ebensolchen Aufbruch in eine neue Moderne, die wir Zukunft nennen.

Björn Castan